Buch: Technisches Management

Leseprobe: Innovationsplanung

Buch: Technisches Management

Leseprobe: Innovationsplanung

   Siegfried Seibert

Technisches Management

Innovationsmanagement - Projektmanagement - Qualitätsmanagement

© Copyright Siegfried Seibert 2006
(Berichtigter Nachdruck der 1. Auflage von 1998)

Studienausgabe (Paperback), XVI, 584 Seiten mit 270 Bildern, 15,6 x 23,4 cm
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Die folgende Leseprobe wurde aus Abschnitt 6.1 des Buches entnommen.

Innovationsplanung

Ziel der Innovationsplanung ist die Erarbeitung und Auswahl von Geschäftskonzepten für künftige Innovationsprojekte. Dazu ist eine systematische Vorgehensweise mit folgenden Hauptschritten zweckmäßig:

  1. Suchfeldanalyse
  2. Ideenfindung
  3. Ideenbewertung
  4. Konzeptentwicklung und
  5. Geschäftsplan

Die einzelnen Planungsaufgaben werden im allgemeinen von einer oder mehreren der folgenden Organisationseinheiten wahrgenommen:

  • Produktplanungsabteilung: Eine eigenständige Organisationseinheit in Marketing oder F&E mit einem oder mehreren Mitarbeitern führt ausschließlich Innovationsplanungsaufgaben durch.
  • Produktplanungsteam: Ein fester Kreis von Mitarbeitern aus verschiedenen Unternehmensbereichen führt die Planungsaufgaben durch und legt die Pläne der Geschäftsleitung zur Entscheidung vor.
  • Produktplanungskomitee: Die Planungsaufgaben werden von einem Kreis hochrangiger Führungskräfte aus Entwicklung, Marketing, Arbeitsvorbereitung, Fertigung, Controlling und anderen Bereichen in regelmäßigen Sitzungen beraten. Aufgabe des Komitees ist nicht die Durchführung der Planungsarbeiten, sondern die Vergabe von Planungsaufträgen sowie die Überprüfung und Entscheidung der vorgelegten Pläne und Konzepte.
  • Externe Unternehmensberater: Spezialisierte Berater erledigen eigenständig oder gemeinsam mit den oben genannten, internen Stellen die Planungsaufgaben. Neben methodischem Know-how haben sie als Markt- und Technologiekenner meist auch einen guten Überblick über attraktive Geschäftsmöglichkeiten.

Diese organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten sind häufig in kombinierter Form anzutreffen. Kleinere Unternehmen, die nur sporadisch Innovationsvorhaben durchführen, tun dies meist mit temporären Planungsteams oder beauftragen einen Unternehmensberater. Größere Unternehmen, bei denen die Innovationstätigkeit eine Daueraufgabe ist, richten ständige Planungsabteilungen und Planungskomitees ein, wobei fallweise auch projektbezogene Planungsteams und Berater eingebunden werden.

Festlegung von Innovationssuchfeldern

Für eine zielführende Planung von Produktinnovationen ist es notwendig, zunächst einen Rahmen zur Suche nach Innovationsideen abzustecken. Die einzelnen Teilbereiche dieses Rahmens bezeichnet man als Innovationssuchfelder. Ansatzpunkte zur Festlegung solcher Suchfelder ergeben sich meist bereits aus der Innovationsstrategie. Die entsprechenden Überlegungen sind nun weiterzuführen und zu konkretisieren.

Die festgelegten Suchfelder sollten dabei einerseits so präzise sein, daß sie eine konkrete Ausrichtung der Ideenfindung ermöglichen, andererseits aber auch breit genug definiert sein, um zur Suche nach neuartigen, kreativen Lösungsansätzen anzuregen. Ein geeignetes Instrument zur Festlegung erfolgsträchtiger Bereiche für die Ideensuche ist die Suchfeldmatrix. In einer Suchfeldmatrix werden die Know-how-Stärken des Unternehmens einer Liste attraktiver Marktsegmente gegenüber gestellt:

  • Zur Erfassung der Know-how-Stärken werden die verschiedenen Organisations-einheiten des Unternehmens durchgecheckt und Fähigkeiten ermittelt, die eine Be-sonderheit darstellen oder bei denen man im Vergleich zu anderen Unternehmen der Branche eine herausragende Stellung einnimmt.
  • Attraktive Marktsegmente für Innovationen zeichnen sich durch hohe Wachstumsraten oder ein anderweitig erkennbares Entwicklungspotential (z. B. schärfere gesetzliche Bestimmungen, technologischer Nachholbedarf, Nachholbedarf ge-genüber dem Ausland etc.) aus. Solche Marktsegmente können hinsichtlich Ab-nehmergruppen, zu erfüllenden Produktfunktionen und technologischen Lösungs-ansätzen voneinander abgegrenzt werden. Zur Identifikation attraktiver Marktseg-mente dienen die Durchsicht von Studien über Zukunftsmärkte und -technologien sowie die Befragung von Marketingexperten.

In Großunternehmen finden sich schnell einige hundert Know-how Stärken und attraktive Marktsegmente. Know-how-Stärken und Marktsegmente sind in diesem Fall hinsichtlich ihrer Bedeutung in verschiedenen Gruppen oder in einer Rangreihe zu ordnen. Im allgemeinen sollten in eine Suchfeldmatrix nicht mehr als jeweils 20 bis 25 solcher Know-how-Stärken und Marktsegmente eingehen. Die so erhaltene Suchfeldmatrix wird ausgewertet, indem für jedes Marktsegment zellenweise überprüft wird, welche Know-how-Anwendungen denkbar sind und interessant erscheinen. Aus den interessanten Bereichen der Matrix werden so Suchfeldvorschläge abgeleitet (vgl. VDI 1978, S. 12ff., Kramer 1987, S. 288ff.).

Diese Suchfeldvorschläge werden bewertet und daraus die attraktivsten Vorschläge ausgewählt. Auf diese Vorschläge konzentriert sich die anschließende Ideensuche. Be-wertungskriterien für die Auswahl sind:

  • Übereinstimmung mit festgelegten Unternehmenszielen und Grundstrategien
  • Wachstumspotential
  • Nutzbares Know-how-Potential
  • Management-Kompetenz für das neue Geschäftsfeld
  • Positiv- und Negativeffekte auf das bereits bestehende Geschäft
  • Markteintrittskosten
  • Wettbewerbssituation und erwartete Wettbewerbsreaktionen
  • Möglichkeiten zum Erwerb fehlenden Know-hows
  • Sonstige Chancen und Risiken

Beispiel: Systematische Innovationsplanung Hirschmann

Die Radiotechnischen Werke Hirschmann in Esslingen am Neckar wurden in den 20er Jahren von Richard Hirschmann, dem Erfinder des Bananensteckers, gegründet. Anfang der 70er Jahre hatte das Unternehmen eine breite Palette an Auto- und Fernsehantennen sowie an Steckverbindungen mit rund 3.000 Einzelprodukten und 10.000 Varianten. 1973/74 wurde mit 3.100 Mitarbeitern ein Umsatz von rund 140 Mio. DM erzielt, ein knappes Viertel davon auf Auslandsmärkten. Das Unternehmen hatte Werke in Deutschland, Österreich, Spanien und Südafrika und Vertriebsnie-derlassungen oder Vertretungen in über 70 Ländern weltweit (vgl. Hirschmann/Kramer 1979).

Eine interne Analyse zeigte für die Produktgruppen des Unternehmens eine zunehmende Markt-sättigung auf. Man ermittelte eine Umsatzlücke von rund 10 Mio. DM, die zur Beschäftigungssicherung innerhalb von 6 Jahren durch neue Produkte aufgefüllt werden mußte. Im Rahmen der Innovationsstrategie wurde außerdem festgelegt, daß nicht nur ein singuläres Einzelprodukt, sondern eine ausbaufähige Produktfamilie aufgebaut und daß diese neue Produktfamilie mit dem im Unternehmen vorhandenen technischen Know-how realisiert werden sollte. Im einzelnen wurden mit der neuen Produktlinie folgende Ziele angestrebt:

  • Ausreichende Rendite (ROI) zur Erhaltung der unternehmerischen Selbständigkeit.
  • Ausreichendes Geschäftsvolumen und Erreichbarkeit eines angemessenen Marktanteils in einem Markt mit einer ausreichenden Zahl von Endkunden.
  • Stabiler Markt mit längerfristig kontinuierlichen Zuwachsraten.
  • Markteinführung mit einem Realisierungsaufwand von max. 1 Mio. DM innerhalb von zwei bis drei Jahren.
  • Markterschließung mit vorhandener Vertriebsorganisation.
  • Beitrag des neuen Produkts zur Verbesserung des Firmenimages.
  • Höherwertiges Produkt, bei dem vorhandenes technisches Know-how und vorhandene Fertigungseinrichtungen genutzt werden können.
  • Produktidee mit hohem Neuheitswert am Markt.

Zur Innovationsplanung wurde ein Kernteam gebildet, das aus dem Marketingleiter und einem Abteilungsleiter aus der Entwicklung bestand. Außerdem wurde ein Beratungsauftrag an ein externes Forschungs- und Beratungsinstitut vergeben, das für eine systematische Vorgehensweise und für neue Ideen sorgen sollte. Um die Akzeptanz der Innovation bei Führungskräften und Mitarbeitern zu gewährleisten, wurde dieser Personenkreis von Anfang an umfassend über das Vorhaben informiert und immer wieder in den Ablauf einbezogen.

Zur Festlegung von Suchfeldern für die Ideenfindung, wurde auf Basis einer internen Stärken-Schwächen-Analyse die im Bild auszugsweise dargestellte Suchfeldmatrix erarbeitet. In der Matrix wurden die Stärken des Unternehmens zukunftsträchtigen Problemlösungsversuchen ge-genüber gestellt. Die einzelnen Zellen der Matrix wurden durch Geschäftsleitung, Projektteam und einen Kreis von rund 50 Führungskräften des Unternehmens bewertet. Als Ergebnis der Bewertung wurden etwa 10 interessante Felder für die Ideenfindung ausgewählt, beispielsweise Sicherheit, Kraftfahrzeugtechnik, Freizeit und Reisen, Meß- und Regelungstechnik, Medizin und Gesundheit sowie Bau- und Installationsgeräte.


Suchfeldmatrix zur Bestimmung firmenspezifischer Innovationsfelder

Innovationsideenfindung

In der Ideenfindungsphase sollen konkrete Ansatzpunkte für Innovationen erarbeitet werden. Da die Ideenausfallrate während des Innovationsprozesses sehr hoch ist, benötigt man möglichst viele kundennahe und originelle Ideen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit für einen Markterfolg zu steigern.

Zur Innovationsideenfindung können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen. Die folgende Tabelle gibt dazu einen Überblick.

Methoden zur Findung von Innovationsideen

Nach dem Neuheitsgrad der gefundenen Ideen unterscheidet man zwischen Methoden der Ideensammlung und Methoden der Ideenproduktion. Außerdem unterscheidet man nach der Herkunft der Ideen zwischen unternehmensinternen und unternehmensexternen Ideenquellen. Der einfachste Weg der Innovationsideenfindung ist die systematische Sammlung und Auswertung vorhandener oder leicht zu beschaffender Informationen. Auf diese Weise kann mit relativ geringem Aufwand bereits eine Anzahl von Innovationsalternativen erfaßt werden. Die Vorgehensweise hat jedoch den Nachteil, daß die meisten dieser Ideen, insbesondere wenn sie aus externen Quellen stammen, auch anderen (z. B. Wettbewerbern) ohne größere Probleme zugänglich sind und daß die Ideen eher einen geringen Neuheitsgrad aufweisen. Die Ideensammlung muß daher durch Verfahren zur Generierung bzw. Produktion neuartiger Ideen ergänzt werden. Die gezielte Generierung neuartiger Ideen ist zwar aufwändiger, führt aber auch zu originelleren Ideen als die reine Ideensammlung.

Auch bei der Innovationsideenfindung sollte daher systematisch vorgegangen werden. Als zweckmäßig hat es sich erwiesen, zunächst die Kenntnisse in den ausgewählten Suchfeldern zu vertiefen, dann schlecht gelöste Kundenprobleme in den Suchfeldern zu ermitteln und schließlich gezielt nach Ideen zur Lösung dieser Kundenprobleme zu suchen (Geschka 1992).

Vertiefung der Kenntnisse in den ausgewählten Suchfeldern

Zur Vorbereitung auf die eigentliche Ideenfindung sind die Kenntnisse in den ausgewählten Suchfeldern zu vertiefen. Dabei geht es insbesondere darum, längerfristige Trends zu erkennen und zu analysieren, aus denen sich Chancen für neue Marktlücken in den betreffenden Segmenten ergeben könnten, insbesondere

  • demographische Strukturveränderungen,
  • Verhaltens- und Geschmacksveränderungen der Verbraucher,
  • zu erwartende gesetzliche Vorschriften,
  • branchentypische, technische und organisatorische Probleme,
  • neue technologische Entwicklungen,
  • Strategien der Wettbewerber im Suchfeld.

Informationsquellen dafür sind hauptsächlich die Auswertung interner und externer Veröffentlichungen sowie sekundärstatistischer Quellen.

Ermittlung schlecht gelöster Kundenprobleme

Durch die Identifikation schlecht gelöster Kundenprobleme soll eine hohe Kundennähe der Innovationsideen gewährleistet werden. Verbreitete Methoden hierzu sind Kunden- und Expertenbefragungen sowie die Analyse der Stärken und Schwächen von Wettbewerbsprodukten. Auch die in Abschnitt 2.2 dargestellten Problemanalysetechniken können eingesetzt werden. Zu einem sachgerechten Methodeneinsatz ist es zweckmäßig zwischen folgenden Typen von Kundenproblemen zu unterscheiden:

  • Originäre und abgeleitete Kundenprobleme
  • Aktuelle und latente bzw. potentielle Kundenprobleme

Originäre Probleme betreffen dauerhafte, unmittelbar vorhandene Probleme der Kunden. Abgeleitete Probleme beziehen sich auf die jeweilige Lösungstechnik für das übergeordnete, originäre Problem. Ihre Existenz ist daher von der Verwendung der betreffenden Lösungstechnik abhängig. Man unterscheidet verschiedene Stufen abgeleiteter Probleme. Je höher die Ableitungsstufe, um so eher kann bei einer technologischen Veränderung das Problem aufhören, zu bestehen, d. h. eine darauf gerichtete Problemlösung überflüssig werden (vgl. Gälweiler 1980).

Beispiel: Originäre und abgeleitete Probleme (Nütten 1978)
Originäres Problem:Frische Nahrungsmittel konservieren
Originäre Lösung:Tiefkühlgerät
Abgeleitetes Problem 1:Verpackung der Nahrungsmittel
Lösung Stufe 1:Schachteln und Tüten
Abgeleitetes Problem 2:Luftdichter Verschluß
Lösung Stufe 2:Schweißgerät für Haushalt
Abgeleitetes Problem 3:Schweißbares Material
Lösung Stufe 3:Spezialfolienschlauch für Schweißgeräte

Je grundlegender und dauerhafter eine Innovation sein soll, desto stärker sind für die Innovationsideenfindung originäre Kundenprobleme oder Probleme auf möglichst niedriger Ableitungsstufe zu bevorzugen. Probleme auf einer höheren Ableitungsstufe führen demgegenüber nur zu inkrementalen "Mini-Innovationen", können nichtsdestotrotz den Abnehmern aber auch einen großen Nutzen stiften. Außerdem sind die Ansatzpunkte für solche Mini-Innovationen meist sehr viel zahlreicher sowie schneller und kostengünstiger zu realisieren als bei neuen Lösungen für originäre Probleme.

Die Innovationsideenfindung darf sich im weiteren nicht nur auf die von den Kunden geäußerten aktuellen Probleme beschränken, sondern muß auch latente und potentielle Kundenprobleme einbeziehen. Zum Erkennen solcher, dem Kunden noch nicht bewußter, Probleme sind Kundenbefragungen nicht ausreichend. Welcher Verbraucher hätte 1980 bei einer Befragung zu seinen Konsumwünschen beispielsweise ein Mobiltelephon, einen Mikrowellenherd, einen CD-Player oder ein Telefaxgerät für den Privatgebrauch genannt. Innovative Unternehmen müssen ihren Kunden daher voraus sein und Lösungen für deren noch verborgene Wünsche anbieten. Dies erfordert eine eingehende Beschäftigung mit Bedürfnisstrukturen, Lebensstilen und Wunschträumen von Kunden heute und in der Zukunft. Hierzu werden folgende Instrumente eingesetzt (vgl. Kleinschmidt u. a. 1996, S. 119ff., Hamel/Prahalad 1992):

  • Gemeinsame Entwicklungsbesprechungen und Entwicklungskooperationen mit wichtigen Kunden.
  • Regelmäßiger, direkter Kundenkontakt von Führungskräften aus Marketing und Entwicklung, um Kunden zu beobachten und deren Gedanken aufzunehmen.
  • Eigene Mitarbeiter arbeiten für eine gewisse Zeit an Entwicklungsprojekten oder anderen Tätigkeiten in Kundenunternehmen mit.
  • Beschäftigung von Mitarbeitern aus dem Kundensegment.
  • Beobachtung und Videoaufzeichung von Anwendern bei der Benutzung des Produkts, ggf. auch gezielte Versuche zur Simulation von Anwendungssituationen.
  • Betreiben von Anwenderlaboren und Testcentern zur Benutzung durch Kunden.
  • Durchführung von Zukunftsstudien, Trendforschung, Lebensstilanalysen und psychologische Kaufmotivforschung.

Als besonders erfolgversprechend gilt hierbei die Zusammenarbeit mit innovativen Anwendern (Leitkunden, "Lead-User"), die gegenüber anderen Kunden eine Trendset- terrolle spielen (vgl. Abschnitt 7.3.1).

Sammlung und Generierung von Ideen zur Lösung der Kundenprobleme

Für die identifizierten Kundenprobleme sind möglichst originelle und neuartige Problemlösungsideen zu entwickeln. Originalität und Neuartigkeit können durch den Einsatz von Kreativitätstechniken angehoben werden. Die bekanntesten und verbreitetsten Kreativitätstechniken sind Brainstorming und Brainwriting sowie die Methode des morphologischen Kastens. Weitere für die Innovationsideenfindung wichtige Techniken sind beispielsweise, die Synektik, die Reizwortanalyse und Methoden der visuellen Konfrontation. Diese Methoden wurden bereits bei den grundlegenden Problemlösungstechniken in Abschnitt 2.3 behandelt.

Bei der Sammlung und Generierung von Produktideen ist das Informationsmanagement an den Nahtstellen zwischen Marketing, F&E und Fertigung von besonderer Bedeutung. Häufig existieren Informationen über ungelöste Kundenprobleme im Marketing, Ideen zum Einsatz neuer Technologien in der F&E-Abteilung und Ideen zur Verfahrensverbesserung in der Fertigung. Erst der funktionsübergreifende Informationsaustausch führt zu erfolgversprechenden Innovationsvorschlägen.

Am Ende der Ideensuche liegen in der Regel eine große Zahl von Ideen mit unterschiedlichen Konkretisierungsgraden vor: Reine Problembeschreibungen, einzelne mehr oder weniger konkrete Produktideen und umfassende Konzepte, die eine Vielzahl von Einzelideen beinhalten.

Dieses Konglomerat von Ideen ist als Ergebnis der Ideenfindung zu sinnvollen Innovationsvorschlägen aufzubereiten. Die Vorschläge sollten auf ein bis zwei Seiten Aussa- gen zu folgenden Punkten enthalten:

  • Beschreibung eines vollständigen Problemlösungsangebots und dessen einzelner Bestandteile, ggf. auch mit ergänzenden Dienstleistungen.
  • Aufzeigen möglicher Ausbaustrategien für die fernere Zukunft (z. B. Ausbau zu einer Produktfamilie, technische und marktbezogene Entwicklungsperspektiven).
  • Hinweise auf mögliche Realisierungsstrategien (Eigenentwicklung, Lizenznahme, Kooperation mit anderen Unternehmen etc.).
  • Aufzeigen verbindender Elemente (Synergieeffekte) zwischen dem neuen Vorschlag und den bisherigen Aktivitäten.

Beispiel: Ideenfindung zur Innovationsplanung Hirschmann

Die Ideenfindung im Rahmen dieses Projektes orientierte sich an den vorher festgelegten Suchfeldern. Zur Ideensuche wurden verschiedene Wege beschritten:

  • Ideenfindungssitzungen unter Anwendung von Brainstorming, Brainwriting (Methode 635), Reizwortanalyse und morphologischem Kasten:
    • Eine suchfeldübergreifende Sitzung mit Hirschmann-Geschäftsleitung, Projektteam und den Beratern des beigezogenen Forschungsinstituts
    • Je eine interne Sitzung mit Hirschmann-Mitarbeitern zu jedem Suchfeld
    • Je eine externe Sitzung mit Experten des Forschungsinstituts zu jedem Suchfeld.
  • Messebesuche im In- und Ausland
  • Durchleuchtung von in den Suchfeldern tätigen Unternehmen und deren Sortimenten.

Insgesamt wurden auf diese Weise rund 400 sehr unterschiedliche Ideen für neue Hirschmann-Produkte gefunden, wie etwa Raumklimaüberwachung durch Farbanzeige, Systeme zur Datensicherung in Unternehmen, Gasdrucküberwachung, Fernanzeige des Reifendrucks, elektronische Briefkastenanzeiger, Sicherheitsschlösser, Schwimmfahrrad oder ein TV-Spielgerät. Dabei wurden viele Ideen bereits sehr konkret ausgearbeitet. Beispielsweise wurden 13 verschiedene Ansätze zur Fernanzeige des Reifendrucks gefunden.

Am Ende der Ideenfindungsphase wurde eine Bereinigung des Ideenmaterials vorgenommen. Dabei wurden verwandte Ideen zu Produktfamilien zusammengefaßt sowie Doppelnennungen und offensichtlicher Unsinn ausgeschieden. Die Ideenanzahl wurde dadurch von 400 Ideen auf 200 Ideen halbiert, die zu Produktvorschlägen ausgearbeitet wurden.

Ideenbewertung und -vorauswahl

Die Bewertung und Vorauswahl der Produktvorschläge hat die Aufgabe, die gefundenen Ideen zu Produktgrobkonzepten zu verdichten und daraus diejenigen Vorschläge auszuwählen, die für das Unternehmen den größten Erfolg versprechen. Die Auswahl kann durch die verschiedenen qualitativen Bewertungsmethoden erfolgen, die in Abschnitt 2.4 vorgestellt wurden. Wenn sehr viele Ideen zur Auswahl anstehen, ist ein stufenweises Bewertungsverfahren zweckmäßig, bei dem die Schärfe der Kriterien sowie der Umfang und die Tiefe der berücksichtigten Informationen in Abhängigkeit vom Konkretisierungsgrad der Produktideen schrittweise erhöht wird.

Beispiel: Ideenbewertung und -auswahl Hirschmann

Zur effizienten Bewertung und Auswahl der 200 vorliegenden Ideenbeschreibungen wurde ein mehrstufiges, in den Methoden immer detaillierter werdendes Vorgehen gewählt:

  • Grobauswahl: In der ersten Bewertungsstufe wurde beurteilt, ob Hirschmann unter entwicklungs- und fertigungstechnischen Gesichtspunkten überhaupt in der Lage sei, die Ideen zu realisieren. Diese Beurteilung wurde vom internen Projektteam vorgenommen und von Führungskräften aus Entwicklung und Fertigung auf Stichhaltigkeit überprüft. 55 Ideen, für die eine Realisierung nicht möglich erschien, wurden ausgeschieden.
  • Basisauswahl: In der zweiten Stufe erfolgte eine intuitive Gesamtbeurteilung der verbliebenen 145 Ideen anhand der Bewertungskategorien, die bereits zur Beurteilung der Suchfelder gedient hatten (vgl. oben, Abschnitt Suchfeldanalyse). Dazu bildeten die Projektbearbeiter von Hirschmann und dem beteiligten Forschungsinstitut ein fünfköpfiges Bewertungsteam, das mit einfacher Mehrheit über die Weiterbearbeitung oder das Ausscheiden einer Idee entschied. In diese Entscheidung wurde zur Gegenkontrolle eine Bewertung durch Experten des Forschungsinstituts einbezogen. Die Anzahl der Ideen reduzierte sich durch dieses Vorgehen auf 36. Diese Ideen wurden der Hirschmann-Geschäftsleitung zur Genehmigung vorgelegt.
  • Feinauswahl: Zur Beurteilung der verbliebenen Ideen wurde eine Punktebewertung durchgeführt. Als Bewertungskriterien dienten die von Hirschmann bei der Festlegung der Innovationsstrategie formulierten Ziele für die neue Produktfamilie (vgl. Beispiel 6.1). Um die Bewertungskriterien in eine für Hirschmann relevante Gewichtung zu bringen, wurden sie durch die Geschäftsleitung einem Paarvergleich unterzogen, der anschließend mit Hilfe des Matrixverfahrens ausgewertet wurde (vgl. Abschnitt 2.4.3, insbesondere Bild 2.21). Nach der Gewichtung wurden für die acht Bewertungskriterien Richtlinien zur Punktever-gabe festgelegt. Anhand der Punktevergaberichtlinien wurden von der erweiterten Hirsch¬mann-Geschäftsführung die 36 Einzelideen einer intuitiven Bewertung auf Grundlage der Erfahrung dieses Personenkreises unterzogen. Als Ergebnis der Bewertung wurden die 18 besten Ideen zur weiteren Bearbeitung ausgewählt.
  • Kurzmarktanalysen: Für die verbliebenen 18 Ideen wurden Kurzanalysen der Markt- und Wettbewerbssituation durchgeführt. Die Erarbeitung der Kurzmarktanalysen wurde zwi-schen Kernprojektteam, Hirschmann-Marktforschungsabteilung und externem Forschungsinstitut verteilt. Die Kurzmarktanalysen hatten einen Umfang von jeweils fünf bis zehn Seiten und wurden mit einem Aufwand von rund einer Mannwoche pro Idee erstellt. Auf Grundlage der Kurzmarktanalysen wurde die Punktebewertung der Feinauswahl mit den gleichen Bewertungsvorschriften und Gewichtungen, aber nunmehr auf einer fundierteren Informationsbasis wiederholt. Daraus wurden die vier besten Vorschläge zur weiteren Bearbeitung ausgewählt. Neun Monate nach Projektstart wurde an diesem Punkt aus Geheimhaltungsgründen die Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut beendet und auch die Mitarbeiterinformationen über den Stand der Projektarbeit wurden bis zur Markteinführung zurückgestellt.
  • Endauswahl: Für die verbliebenen vier Vorschläge wurden jetzt detaillierte Markt- und Durchführbarkeitsstudien von drei Monaten Dauer pro Idee durchgeführt. Daraus wurden Marketing- und Technikkonzepte abgeleitet und Wirtschaftlichkeitsrechnungen durchgeführt. Am Ende wurden Einbruchmeldesysteme als neue Produktfamilie ausgewählt und da-zu ein Entwicklungsprojekt begonnen. Die Markteinführung erfolgte 1977. Als weitere Produktgruppe folgte einige Jahre später ein Steckverbindungsprogramm für die optische Nachrichtentechnik (Glasfasertechnik). Außerdem wurden aufgrund des Projektes vier weitere Produkte zur Ergänzung des bestehenden Programms auf den Markt gebracht.

Kriterien und Punktevergabe bei Neuproduktbewertungen

Entscheidend für die Qualität der Ideenauswahl sind die zur Bewertung verwendeten Kriterien sowie deren Gewichtung und die zur Punktevergabe verwendeten Bewertungsschlüssel. Das Bewertungssystem muß sich dabei an den Erfolgsfaktoren für Innovationsvorhaben und an den unternehmensspezifischen Innovationszielen orientieren. In der Literatur wurden dazu eine Reihe möglichst allgemeingültig gehaltener Kriterienkataloge veröffentlicht. Die Tabelle zeigt exemplarisch ein solches Bewertungsschema.

In der Praxis erfolgen Auswahlentscheidungen meist intuitiv im Rahmen von Gruppendiskussionen. Systematische Punktebewertungen und Marktanalysen zur Auswahl der Ideen sind eher selten. Diese Vorgehensweise ist äußerst problematisch und führt häufig zu mangelhaften Auswahlentscheidungen (Meffert 1998, S. 418). In mehreren empirischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß durch die Anwendung analytischer Bewertungsverfahren die Rate fehlerhaft ausgewählter Produktvorschläge, die später zu Flops führen, deutlich reduziert werden kann. Zwar steigt dabei auch die Wahrscheinlichkeit, potentiell erfolgreiche Produktvorschläge abzulehnen. Die Ausscheidung eines einzelnen erfolgsträchtigen Vorschlags ist jedoch hinnehmbar, wenn durch das Aus-wahlverfahren genügend andere, erfolgsträchtige Ideen erkannt und weiterverfolgt werden. Insgesamt sind die besten Auswahlentscheidungen dann zu erwarten, wenn

  • mit einfachen Punktebewertungsverfahren bei jedem Bewertungskriterium ein bestimmter Mindestpunktwert erreicht werden muß,
  • bei der Auswahl nur vier bis sechs zentrale Bewertungskriterien betrachtet werden, die dafür aber mit einem höheren Aufwand recherchiert und analysiert werden.

Nutzwertanalysen mit umfangreichen Kriterienkatalogen sind bei Vorauswahlentscheidungen somit nicht erforderlich und zu aufwendig. Sie können jedoch in erweiterter Form, als Kosten-Nutzen-Analysen oder als technisch-wirtschaftliche Bewertungen, die in den folgenden Phasen angestellten Wirtschaftlichkeitsanalysen unterstützen und dabei zu ausgewogeneren und transparenteren Entscheidungen beitragen.

Konzeptentwicklung und Wirtschaftlichkeitsbeurteilung

Nach Abschluß der Vorauswahl, sind für die positiv beurteilten Vorschläge detaillierte technische und geschäftliche Konzeption auszuarbeiten und einer ersten Wirtschaftlich-keitsbeurteilung zu unterziehen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten werden in einem Geschäftsplan zusammengefaßt, der als Grundlage für die Entscheidung zur Realisierung des Vorhabens dient.

Konzeptentwicklung

Im Rahmen der Konzeptentwicklung werden

  • die Produktideen weiter konkretisiert und erste Spezifikationen erarbeitet,
  • erste Modelle und Muster erstellt und getestet,
  • eine Marketingkonzeption erarbeitet sowie
  • eine Projektrahmenplanung zur Entwicklung des Produkts ausgearbeitet.

Geeignete methodische Hilfsmittel für diese Arbeitsschritte sind u. a.

  • die Durchführung von Marktstudien und Konzepttests (vgl. Abschnitt 7.3),
  • das Target Costing/Zielkostenmanagement (vgl. Abschnitt 8.4),
  • die Projektaufwands- und Kostenschätzung (vgl. Kapitel 12),
  • die QFD-Methode (vgl. Abschnitt 18.2).

Bei den in dieser Phase notwendigen Marktuntersuchungen und anderen externen Kontakten ist darauf zu achten, daß die Konkurrenz nicht unnötig früh Informationen über das Innovationsvorhaben erhält.

Kernbestandteil der Konzeptentwicklung ist das Produktkonzept. Das Produktkonzept bezieht sich sowohl auf die eigentlichen Produktfunktionen (den Grundnutzen des Produkts) und weitere physikalische Produktmerkmale als auch auf die Fertigungsmerkma-le, die ästhetischen und symbolischen Eigenschaften sowie die mit dem Produkt verbundenen Zusatzleistungen (vgl. Bild).


Gestaltungselemente eines Produktes

Bezüglich dieser Merkmalsdimensionen muß festgelegt werden, welche Anforderungen das neue Produkt genau erfüllen soll (Pflichtenheft) und wo es Vorteile gegenüber Kon-kurrenzprodukten aufweisen soll. Zur Festlegung der zu realisierenden Anforderungen kann die – in Japan entstandene und als „Kano-Modell" bekannt gewordene – Unterscheidung in Grundmerkmale, Leistungsmerkmale und Begeisterungsmerkmale dienen (vgl. z. B. Pfeifer 1993, S. 31f.). Zum besseren Verständnis dieser drei Merkmalsgruppen dient ein Diagramm, in dem die subjektive Kundenzufriedenheit der objektiven Erfüllung von Kundenforderungen gegenübergestellt wird (vgl. Bild). Daraus werden folgende allgemeine Empfehlungen zur Bestimmung der für eine Innovation relevanten Merkmale abgeleitet:

  • Vom Kunden als Selbstverständlichkeiten erwartete Grundmerkmale, deren Nichterfüllung große Unzufriedenheit hervorruft, stellen unverzichtbare Muß-Forderungen dar, die immer zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen insbesondere ein Mindestmaß an Gebrauchstauglichkeit sowie die Sicherheit des Produkts. Die Nichteinhaltung von Grundforderungen kann für ein Unternehmen verheerende Imageschäden und Marktanteilsverluste zur Folge haben. Aus der Übererfüllung von Grundmerkmalen entstehen jedoch keine besonderen Vorteile.
  • Qualitäts- und Leistungsmerkmale, bei denen mit steigendem Erfüllungsgrad auch der Grad der Kundenzufriedenheit ansteigt, sollten bezüglich der für die angesprochenen Kundengruppen wichtigsten Merkmale besser erfüllt werden als es Konkurrenzprodukte tun.
  • Um sich vom Wettbewerb abzuheben, sollte ein Produkt darüber hinaus einige, wenige Begeisterungsmerkmale (z. B. zusätzliche Funktionen oder Serviceleis-tungen) aufweisen, die vom Kunden bei Produkten der betreffenden Kategorie nicht erwartet und deshalb besonders positiv aufgenommen und im Freundes- und Bekanntenkreis kommuniziert werden.

Kano-Modell der Produktmerkmale

Im Laufe der Zeit verschieben sich die Positionen zwischen diesen drei Merkmalskate-gorien. Frühere Begeisterungsmerkmale werden mit zunehmender Verbreitung immer mehr zu einem vom Kunden geforderten Standard, d. h. zu Leistungsmerkmalen und im weiteren sogar (zumindest in einzelnen Marktsegmenten) zu selbstverständlichen Grundmerkmalen. Typische Beispiele sind etwa Servolenkung und Sicherheitsmerkmale, wie das ABS, beim Auto oder die Zifferntastatur beim Telefongerät. Damit sich für das Unternehmen ein tragfähiger Wettbewerbsvorteil ergibt, ist es erforderlich, daß die ausgewählten Differenzierungsmerkmale, vom Kunden als wichtig eingestuft werden und von ihm auch tatsächlich wahrgenommen werden. Die Wichtigkeit der festgelegten Merkmale ist durch entsprechende Konzepttests am Markt zu überprüfen. Unternehmen begehen dabei häufig den Fehler, ihre Strategie auf Produkt-vorteilen aufzubauen, denen die Kunden keine besonders hohe Bedeutung beimessen.

Beispiel: Falsche Prioritätensetzung bei Produktmerkmalen

AT & T brachte nach der Deregulierung des amerikanischen Telekommunikationsmarktes Mitte der 80er Jahre eine Serie phantasievoll gestylter, teurer Telefonapparate auf den Markt. Die Geräte verkauften sich kaum, während einfach gestaltete, leicht zu bedienende, zuverlässige und billige Geräte ein hohes Wachstum aufwiesen.

Ein anderer amerikanischer Telefonnetzbetreiber richtete seine Leistung hauptsächlich auf die Schnelligkeit des Verbindungsaufbaus nach Abheben des Hörers aus. Den Kunden genügte jedoch ein Verbindungsaufbau innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne (Grundmerkmal), ihr primäres Interesse galt einer klaren und störungsfreien Verbindung während des Gespräches. Bei diesem Kriterium lag das Unternehmen gegenüber anderen Netzbetreibern jedoch deutlich zurück.