Buch: Technisches Management

Leseprobe: Simultaneous Engineering

Buch: Technisches Management

Leseprobe: Simultaneous Engineering

   Siegfried Seibert

Technisches Management

Innovationsmanagement - Projektmanagement - Qualitätsmanagement

© Copyright Siegfried Seibert 2006
(Berichtigter Nachdruck der 1. Auflage von 1998)

Studienausgabe (Paperback), XVI, 584 Seiten mit 270 Bildern, 15,6 x 23,4 cm
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Die folgende Leseprobe wurde aus Abschnitt 10.6 des Buches entnommen.

Simultaneous Engineering

Aufgrund des intensiven internationalen Wettbewerbs und immer kürzerer Produktlebenszyklen ist eine schnelle Entwicklungszeit für neue Produkte zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für viele Unternehmen geworden (vgl. Abschnitt 1.4.3). Die effizienteste Zeitverkürzungsmethode ist das Simultaneous Engineering. Simultaneous Engineering ist ein Konzept, in dem die aufbau- und ablauforganisatorische Gestaltung von Entwicklungsprojekten mit einem Bündel von Methoden zur Planung, Steuerung und Bearbeitung der Entwicklungsaufgaben verknüpft wird.

Unter Simultaneous Engineering (SE) versteht man die

  • parallele Entwicklung und Implementierung von Produkten und Prozessen,
  • in bereichs- und unternehmensübergreifenden Teams,

um damit die Entwicklungszeiten deutlich zu reduzieren sowie Qualitätsverbesserungen und Investitionskostensenkungen zu realisieren.

Synonym zum Begriff „Simultaneous Engineering“ werden auch die Begriffe „Concurrent Engineering“, „Simultaneous bzw. Concurrent Design", "Simultaneous bzw. Concurrent Development“, „Just-in-Time-Produktentwicklung“ sowie „Integrierte Produkt- und Prozessentwicklung“ gebraucht. Erste Konzepte zu Simultaneous Engineering entstanden bereits Anfang der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten (Total Quality Control-Konzept von A. V. Feigenbaum 1961) und sind in der Luft- und Raumfahrtindustrie seit damals gängiges Arbeitsprinzip. In Japan wurden die Simultaneous Engineering-Prinzipien in den 70er und 80er Jahren dann mit großem Erfolg auf Produktentwicklungsvorhaben für Serienprodukte in Elektrotechnik, Elektronik und Automobilbau übertragen.

Organisation des Simultaneous Engineering

Organisatorische Merkmale des Simultaneous Engineering sind eine extreme Parallelisierung der Projektarbeiten, die Bildung von bereichs- und teilweise sogar unternehmensübergreifenden SE-Projektteams mit einem starken Projektleiter sowie der Übergang von einer phasenorientierten auf eine prototypingorientierte Ablauforganisation.

Parallele Projektbearbeitung

Hauptmerkmal des Simultaneous Engineering ist die Parallelisierung und Integration von Produktplanung und Konzeptentwicklung einerseits sowie von Produktentwicklung und Prozeßentwicklung andererseits (vgl. Bild 10.18). Bei Softwareprojekten werden Problemanalyse und Systemspezifikation einerseits sowie Systementwurf, Programmierung und Systemintegration andererseits parallelisiert und verschmolzen.


Bild 10.18: Parallelisierung der Projektbearbeitung

Gegenüber einer sequentiellen Projektbearbeitung kann damit die Projektdauer beträchtlich reduziert werden und Verzögerungen einzelner Arbeitsschritte können frühzeitiger und einfacher aufgefangen werden. Als Nachteil steht dieser Zeitverkürzung allerdings ein höheres Fehler- und Kostenrisiko gegenüber, da die Ergebnisse der Vorphase in der Regel noch nicht vollständig vorliegen und noch nicht ausreichend überprüft sind. Die Parallelisierung bedarf daher zu einem reibungslosen Funktionieren noch weiterer aufbau- und ablauforganisatorischer Maßnahmen.

Simultaneous Engineering-Steuerungsteam (SE-Team)

Um die mit der Parallelisierung einhergehende Gefahr von Fehlarbeiten möglichst gering zu halten, wird die bereichsinterne, isolierte Bearbeitung einzelner Projektphasen durch eine bereichsübergreifende Teamarbeit abgelöst. Die an dem Projekt beteiligten Unternehmensbereiche sowie wichtige externe Lieferanten entsenden dazu Vertreter in ein ständiges, in der Regel räumlich zusammengezogenes, SE-Steuerungsteam. Darum herum können sich weitere Satellitenteams in den Fachbereichen und bei den Lieferanten gruppieren, wobei die Mitglieder des SE-Steuerungsteams als Koordinatoren zwischen den Teams fungieren. Mit dieser Vorgehensweise sollen „Over the Wall“-Probleme, die bei einer mangelnden Einbeziehung der betroffenen Bereiche entstehen können, vermieden werden, insbesondere

  • unterschiedliche, bereichsspezifische Planungen für das gleiche Projekt,
  • unklare Verantwortlichkeiten,
  • erhöhter interner und externer Koordinationsaufwand,
  • fehlende fertigungsgerechte Produktgestaltung sowie
  • Betriebsanlauf mit unzulänglichen Anlagen und Werkzeugen.

Voraussetzung für eine effiziente Teamarbeit ist eine gemeinsame, möglichst EDV-unterstützte, Entwicklungsdatenbasis für alle am Projekt mitarbeitenden Teams und Bereiche, bestehend aus CAD/CAM-Daten, Kunden- und Marketingdaten, Projektplanungs- und Steuerungsdaten, Stücklisten und Arbeitsplänen (vgl. Bild 10.19).


Bild 10.19: SE-Team und SE-Informationsbasis

Starker Projektleiter

Für das Simultaneous Engineering Projekt wird ein Projektleiter eingesetzt, der durchgängig von der Marktanalyse bis zum Betriebsanlauf für alle mit der Realisierung des neuen Produkts erforderlichen Aufgaben verantwortlich ist. Alle Mitglieder des SE-Steuerungsteams sind dem Projektleiter fachlich und disziplinarisch unterstellt. Arbeiten in Fachabteilungen und bei Lieferanten werden in Form einer starken Matrixorganisation (Auftrags-Projektorganisation) gesteuert. Die Prioritätensetzung für Arbeiten in diesen Bereichen wird durch einen Machtpromotor in der Geschäftsleitung unterstützt.

Periodisches Prototyping

Die eher analytische Vorgehensweise der Phasenablauforganisation wird beim Simultaneous Engineering durch ein iteratives, periodisches Prototyping ersetzt.

Unter Prototyping versteht man den Bau und die Erprobung von Prototypen, um die Funktionsfähigkeit technischer Lösungen nachzuweisen, deren technische Eigenschaften zu ermitteln und zu optimieren sowie vorhandene Mängel zu beseitigen.

In der sequentiellen Phasenorganisation werden während eines Projekts in der Regel zwei oder drei verschiedene Prototypingzyklen durchlaufen: Ein erster Prototypingzyklus am Ende des Systementwurfs, ein zweiter am Ende der Produktentwicklung und ein dritter während der Pilotproduktion. Analysen zeigen, daß bei Serienprodukten mehr als 25 % der Entwicklungszeit und bis zu 50 % der Entwicklungskosten auf die Herstellung und Erprobung von Prototypen entfallen (Bullinger/Warschat 1997, S. 205). Bei phasenbezogenem Projektablauf wird der Bau von Prototypen wegen dieser hohen Kosten relativ lange hinausgezögert bis alle Einzelheiten des Entwurfs oder der Konstruktion durch genaue Analysen geklärt sind.


Bild 10.20: Ablauf des Prototyping

Im Simultaneous Engineering wird der Bau von Prototypen dagegen nicht mehr von bestimmten Meilensteinen abhängig gemacht, sondern erfolgt zu fest geplanten, möglichst frühen Terminen, auf Basis des bis dahin erreichten Projektstands. Das Prototyping wird dabei als iterativer Experimentierprozeß zur Arbeitsdurchführung und Optimierung der Ergebnisse in der jeweiligen Phase betrachtet (vgl. Bild 10.20).

Ein erster Prototyping-Zyklus startet beim Simultaneous Engineering bereits während der Produktplanungs- und Konzeptionsphase mit einfachen Modellen und Prototypen der Benutzerschnittstelle (User-Interface-Prototyp), mit denen die Erfüllung der Kundenanforderungen simuliert und beurteilt werden soll. Dadurch wird das Risiko von falschen oder unvollständigen Projektspezifikationen vermindert. In der Phase der Produkt- und Prozeßentwicklung setzt sich das Prototyping mit Prototypen der Systemarchitektur und wichtiger Komponenten fort. Damit sollen die Güte und Erweiterbarkeit des Systementwurfs, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Schnittstellenspezifikationen sowie das Funktionieren der Einzelkomponenten getestet und optimiert werden. Um gleichzeitig den Fertigungsprozeß zu überprüfen und zu optimieren, versucht man außerdem, die Prototypen so früh wie möglich auf den tatsächlichen späteren Fertigungseinrichtungen herzustellen.

Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich für Prototypenbau und Erprobung zwar höhere Kosten. Vorteile sind jedoch das Vermeiden von Projektverzögerungen aufgrund immer wieder verschobener Prototypentermine und das frühzeitigere Erkennen von Mängeln in der Produktgestaltung, die dann mit einem geringeren Aufwand beseitigt werden können. Kostspielige, spätere Änderungen können vermieden werden. Außerdem können marketingseitige Belange (Anwenderfreundlichkeit, Kundenakzeptanz) und Fertigungsanforderungen dadurch besser in das Projekt einbezogen werden.

Der Einsatz des periodischen Prototyping setzt voraus, daß sich Prototypen schnell und kostengünstig herstellen und optimieren lassen. Hierzu wurde eine Reihe computergestützter Simulationstechniken und Bearbeitungsverfahren entwickelt, die hauptsächlich unter dem Begriff „Rapid Prototyping“ zusammengefaßt werden:

  • Dreidimensionale CAD-Systeme (Computer Aided Design) zur fotorealistischen Darstellung und Simulation von Konstruktionen/Designs am Computerbildschirm.
  • Systeme der virtuellen Realität und Touch-Screen-Bildschirme zur softwaretechnischen Modellierung und Erprobung von Benutzerschnittstellen und Bedienfeldern.
  • Ersatz spanender Verfahren (Fräsen/Drehen aus dem Vollen) im Modell- und Musterbau durch Verfahren, bei denen einem Grundkörper Material zugefügt wird, beispielsweise stereolithographische Polymerisationsverfahren, Lasersinterverfahren, Extrusionsmodellierverfahren und Folienlaminierverfahren (vgl. z. B. Bullinger/Warschat 1997, S. 205ff.).
  • CAE (Computer Aided Engineering)-gestützte Leiterplattensimulation und Pre-Silicon-Prozessorenmodelle in der elektronischen Schaltungsentwicklung (vgl. z. B. Schnabel 1993).
  • Objektorientierte Spezifikations-, Entwurfs- und Programmierwerkzeuge zur Bereitstellung von wiederverwendbaren Software-Prototypen anstelle von einmaligen „Wegwerf-Prototypen“ (vgl. z. B. Pomberger/Blaschek 1993).

Beispiel 10.3: Das Motorola-Bandit-Project

Bei Motorola wurde 1987 der Beschluß getroffen, eine neue Generation von Pagern (Funkruf-Empfänger) mit einer optimierten Fertigungstechnologie zu entwickeln. Die Entwicklung stand aufgrund von Wettbewerbsaktivitäten unter einem hohen Zeitdruck. Das Vorhaben wurde daher als Pilot-Projekt zur erstmaligen Anwendung von Simultaneous Engineering bei Motorola ausgewählt. Bild 10.21 zeigt den groben Ablaufplan dieses Projekts (Quelle: Wheelwright/ Clark 1994, S. 275ff. und S. 375ff.). Folgende Punkte dienen zur Verdeutlichung des Vorgehens:

  • Aufgabe des Projekts war die integrierte Realisierung von Produkt- und Prozeßentwicklung, einschließlich der Softwareentwicklung für die automatisierten Fertigungsanlagen.
  • Bildung eines neunköpfigen, räumlich aus mehreren Standorten zusammengezogenen Kernteams mit Fachleuten für Design/Konstruktion, Fertigungsvorbereitung, Prozeßtechnik, Robotik, Beschaffung, Personalwesen und Rechnungswesen sowie einem Fachmann für computerintegrierte Fertigung vom Lieferanten des Steuerungssystems der Fertigungslinie.
  • Disziplinarische Führung des SE-Teams durch einen mit umfangreichen Vollmachten zur Realisierung des Vorhabens ausgestatteten Projektleiter.
  • Unterstellung des SE-Projektleiters unter einen Machtpromotor im Vorstand von Motorola.
  • Projektdurchführung mit Hilfe einer vom Projektteam ausgearbeiteten und anschließend mit der Geschäftsleitung vereinbarten, detaillierten Projektspezifikation („Projektvertrag“).
  • Periodisches Prototyping als Integrationsmechanismus; Baubeginn der verschiedenen Prototyp-Versionen als fest terminierte Arbeitsschritte, die nicht vom Vorliegen anderer Sachergebnisse abhängig gemacht werden.

Ergebnis dieser Vorgehensweise war:

  • Verkürzung der Entwicklungszeit von drei bis vier Jahren auf 18 Monate.
  • Deutliche Qualitätsverbesserungen (Fertigung mit Ausschußrate von weniger als 0,3 %).
  • Übernahme der Vorgehensweise als Standard-Entwicklungsprozeß bei Motorola.

Bild 10.21: Ablauf des Prototyping beim Motorola-Bandit-Projekt

Methodeneinsatz im Simultaneous Engineering

Methoden zur Unterstützung des Simultaneous Engineering

Neben den bisher genannten Merkmalen werden in SE-Projekten eine Reihe weiterer, für den Erfolg wichtige Methoden eingesetzt:

  • Quality Function Deployment (QFD) und andere Methoden des Quality Engineering (FMEA, Statistische Versuchsmethodik, Prozeßfähigkeitsuntersuchungen u. ä., vgl. Kapitel 18).
  • Projektbegleitende Kalkulation und Zielkostenmanagement (Target Costing) sowie damit einhergehende Methoden der Kostenoptimierung und fertigungsgerechten Gestaltung (Wertanalyse, Design for Manufacture and Assembly DMFA, vgl. Ka-pitel 8).
  • Präzise Projekt-Planungs- und Steuerungssysteme (vgl. Kapitel 13 und 14).

Wegen der auch für andere Zwecke großen Bedeutung dieser Methoden, wird darauf in den angegebenen Kapiteln gesondert eingegangen.

Ausgereifte Produktkonzepte als wesentliche SE-Voraussetzung

Eine wichtige Voraussetzung zur Durchführung von SE-Projekten ist das Vorliegen eines ausgereiften Produktkonzepts auf Basis bereits beherrschter Technologien. Nur auf dieser Grundlage lassen sich die Risiken des parallelen Vorgehens meistern. Aus diesem Grunde werden Produktplanung und Konzeptentwicklung (bzw. Systemanalyse und Systemspezifikation bei Softwareprojekten) getrennt von der Produkt- und Prozeßentwicklung (bzw. Systementwurf und Programmierung) in einer vorgeschalteten Definitionsphase bearbeitet und nicht in die Parallelisierung einbezogen. Die spätere Parallelisierung von Produkt- und Prozeßentwicklung kann dabei durch eine Reihe von Maßnahmen während der vorherigen Definitionsphase wesentlich erleichtert werden (vgl. Schmelzer 1989).

Entsprechende Maßnahmen in der Produktplanung sind:

  • Produktplanung auf Basis vorher ausgearbeiteter Geschäftsfeldstrategien.
  • Gemeinsame Erarbeitung und Festschreibung der Produktanforderungen durch Marketing, Vertrieb und Entwicklung.
  • Konzentration der Produktanforderungen auf wichtige Kundenvorteile.

Maßnahmen in der Konzeptentwicklung sind:

  • Reduzierung der Produktkomplexität (Funktionen, Schnittstellen, Baugruppen).
  • Vermehrter Einsatz von Gleich- , Norm- , Carry-over- und Kaufteilen.
  • Stärkere Verwendung von Baukasten- und Modularisierungskonzepten.
  • Konzentration der Eigenentwicklung auf strategisch wichtige Kernkomponenten, Fremdvergabe von Entwicklungsaufträgen für andere Komponenten.
  • Wettbewerbsorientierte Begrenzung des Innovationsumfangs.
  • Gezielte Vorentwicklung zum frühzeitigen Aufbau von Technologie-Know-how; Kreative Technologieentwicklungsteams arbeiten organisatorisch getrennt von routinemäßigen Produktentwicklungsteams (vgl. Bild 10.22).

Bild 10.22: Trennung von Produktentwicklung und Vorentwicklung

Beurteilung des Simultaneous Engineering

Die Vor- und Nachteile von Simultaneous Engineering gegenüber der phasenorientierten Produktentwicklung lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. VDMA 1990).

Vorteile:

  • Schnellere und flexiblere Projektdurchführung: Durch Simultaneous Engineering können die Entwicklungszeiten um 25 bis 50 % verkürzt werden. Verzögerungen können im weiteren Projektverlauf eher wieder eingeholt werden. Auf veränderte Markterfordernisse und Kundenwünsche kann schneller reagiert werden.
  • Bessere bereichsübergreifende Zusammenarbeit: Die Barrieren zwischen den beteiligten Unternehmensbereichen werden durch die SE-Teamstruktur überwunden. Know-how und Anforderungen anderer Bereiche fließen dadurch frühzeitiger in das Projekt ein. Es treten weniger Informationsverluste bei der Übergabe von Arbeitsergebnissen zwischen den beteiligten Bereichen auf. Die Mitarbeiter in den SE-Teams zeichnen sich durch eine höheres Verantwortungsbewußtsein und ein stärkeres gesamtunternehmensbezogenes Denken aus.
  • Bessere Ergebnisqualität: Durch das frühzeitigere und intensivere Testen von Mustern und Prototypen werden Probleme frühzeitiger erkannt und behoben. Man erhält ausgereiftere, qualitativ bessere Produkte und der spätere Änderungsaufwand kann deutlich vermindert werden.

Nachteile:

  • Nachträgliche Änderungen in der Anfangsphase schlagen auf Folgebereiche sehr viel stärker und kostenintensiver durch als bei phasenweiser Projektbearbeitung.
  • Die gleichzeitige Bearbeitung einer größeren Zahl von SE-Projekten ist sehr schwierig. Hauptprobleme sind unklare Prioritätensetzungen sowie häufige Personal- und Kapazitätsengpässe aufgrund der sehr engen Terminsetzungen.
  • Simultaneous Engineering stellt sehr hohe Anforderungen an die Qualifikation der Projektleitung. Inkompetente Teamleitung hat gravierendere Fehlleistungen zur Folge als in klassischen Organisationsformen.
  • Simultaneous Engineering ist anfällig für eine Reihe „psychologischer“ Probleme. In der Praxis beobachtet wurden insbesondere ein überhöhtes Elite-Denken und Kompetenzüberschreitungen von SE-Teams sowie daraus resultierende Abwehrhaltungen in den beteiligten Fachabteilungen.

Die geschilderten Nachteile bzw. Probleme lassen sich jedoch bei einer geeigneten Vorgehensweise größtenteils vermeiden oder zumindest vermindern. Dazu werden folgende flankierende Maßnahmen empfohlen:

  • Beschränkung auf eine überschaubare Zahl von 8 bis 10 SE-Projekten pro Unternehmen bzw. Unternehmensbereich und Jahr.
  • Festlegung einer firmenweiten Prioritätenliste für den Fall, daß mehrere Projekte gleichzeitig auf begrenzte Kapazitäten zugreifen wollen.
  • Informations- und Motivationsmaßnahmen in den Fachabteilungen, um den Nutzen von Simultaneous Engineering für das Unternehmen klar zu machen.
  • Psychologisches Training der SE-Teammitglieder in Gruppenarbeit, Kommunikationstechniken und Kooperationsverhalten.
  • Schriftliche Dokumentation der organisatorischen Abläufe und Regelungen (Firmennorm, Projektmanagement-Handbuch).

Eignung des Simultaneous Engineering

Auch bei Durchführung dieser Maßnahmen ist Simultaneous Engineering trotz seiner Vorzüge nicht für alle Arten von Projekten geeignet. Die Entscheidung, ob für ein Projekt das prototypingorientierte Simultaneous Engineering oder die systematischere Phasenorganisation eingesetzt werden soll, ist hauptsächlich von folgenden Faktoren abhängig (Yourdon 1992, S. 81ff.):

  • Je schneller ein sichtbares Ergebnis erzielt werden muß, desto eher lohnt sich der Einsatz von Simultaneous Engineering, insbesondere wenn Funktionen, die im Rahmen der Terminvorgabe nicht zu realisieren sind, ohne größere Probleme auf eine Folgeversion des betreffenden Produkts verschoben werden können.
  • Je stärker die Kundenanforderungen schwanken und je unberechenbarer und unerfahrener die Anwender des jeweiligen Produkts sind, desto eher sollte das flexiblere, den Anwender direkter einbeziehende Simultaneous Engineering gewählt werden. Ein systematisches Vorgehen lohnt sich dagegen dann, wenn die Kundenanforderungen und andere externe Rahmenbedingungen relativ stabil bleiben.
  • Je höher der Investitions- und Ressourcenbedarf eines Projekts ist und je genauer dieser Bedarf abgeschätzt werden muß, desto eher ist das besser überschaubare und planbare, phasenweise Vorgehen angebracht.
  • Je höher die Anforderungen an die Vollständigkeit der Problemlösung, je höher das Risiko eines technischen Fehlschlags und je unbekannter das technologische Know-how, auf dem sich das Projekt bewegt, desto eher sollte eine phasenorientierte Vorgehensweise gewählt werden, die bessere Voraussetzungen für eine systematische Durchdringung des Projektgegenstands bietet.